Donnerstag 25. April 2024

6. April 2013

Historisches

Die Philharmoniker im „Schutze“ der Wiener Berufsfeuerwehr (Feuerschutzpolizei)

Als die Kampfhandlungen in den Straßen Wiens an Intensität zunahmen und sich gleichzeitig das nahende Ende des Krieges abzuzeichnen begann, führten widrige Umstände die Besatzung der Wiener Feuerwehrzentrale und die Mitglieder der Wiener Philharmoniker zusammen. Es ist der 6. April 1945, in der näheren Umgebung des Musikvereinsgebäudes am Schwarzenbergplatz werden schon aus umgestürzten Straßenbahnwagen Barrikaden errichtet und der Kampflärm kommt immer näher. Die Mitglieder der Wiener Philharmoniker sind sich einig, dass der Keller ihres Gebäudes in den sie sich zurückgezogen haben ungenügend Schutz bietet und auch zu klein ist. Man beschließt in das Burgtheater zu übersiedeln. Es erfolgt also ein kompletter Umzug der Musiker mit ihren Instrumenten und Familienangehörigen. Verschiedene Habseligkeiten sowie zwei Kontrabässe werden mit Handwagen geführt. Die Mitglieder Walter Barylli und Wolfgang Poduschka fahren mit Fahrrädern voraus um beim Abladen zu helfen. Starker Regen und ständiger Schlachtfliegerbeschuss behindern auch den Transport der mit einem Pferdewagen durchgeführt wird. Die Meldung eines Straßenbahners der ihnen zuruft „Die Russen kommen“ beschleunigt die Sache noch mehr. Im Burgtheater angekommen versucht man sich so häuslich wie möglich einzurichten. Schlafstellen werden errichtet und die Mitglieder in fünf Gruppen eingeteilt. Der Vormittag des nächsten Tages bringt eine Nachricht die alle bestürzt. Das Burgtheater muss binnen drei Stunden geräumt sein, da die SS das Gebäude als neues Quartier benötigt, als Ersatz soll ein Keller in der Hofburg bereitgestellt werden. Da dieser Kellerraum aber maximal 50 Personen aufnehmen kann, beschließt man in Eigeninitiative eine andere Lösung zu finden. Ein Mitglied, Kollege Rudolf Streng, kennt das Haus am Tiefen Graben 4 und erkundet kurzfristig die Lage dort und dessen Zustand. Als er mit positivem Bescheid zurückkommt, man steht noch beim Burgtheater, schlagen zwei russische Artilleriesalven in das Parlament und den Volksgarten ein. Mit großer Eile wird der neuerliche Umzug in die hoffentlich sichere Unterkunft vollzogen. Herr Barylli berichtet wörtlich: „Wir hatten einen Hauptraum und drei kleine Nebenräume zu unserer Verfügung und kamen darauf, dass wir uns an der Rückseite der Feuerwehrzentrale befanden. Es sind große Gewölbe, angeschlossen an die sogenannten Katakomben (das unterirdische Kellernetz Wiens) Bei einer späteren Erkundung kommen wir bis zur Tuchlauben Ecke Milchgasse. Die Luft hier unten war zwar sehr feucht, aber ständig frisch. Die Beleuchtung wurde durch eine Petroleumgaslampe der Feuerwehr besorgt. Später gab es ebenfalls von der Feuerwehr eine Notbeleuchtung mittels Autobatterien. Mit mitgebrachten Matratzen wurden Betten gebaut und Trinkwasser in Flaschen bereit gestellt .Man kam sich trotz der misslichen Sachlage auf den Notbetten im unterirdischen Gewölbekeller wie ein Fürst vor.“

Der Zeitzeuge Herr Barylli bei der Besichtigung der Kellerräume

Außer den Mitgliedern der Philharmoniker befinden sich im Schutz der Kellerräume auch einige Ensemblemitglieder des Burgtheaters, Ewald Balser und dessen Kollege Wolters, beide mit Frauen, die ebenfalls das Beste aus der Lage zu machen versuchen, sowie Mitglieder des Staatsopernchores. Mit einem von der Feuerwehr zu Verfügung gestellten transportablen Herd kann am nächsten Tag in der Einfahrt des Hauses Am Tiefen Graben 4 ein „ Schwarzer“ als Frühstückskaffee serviert werden, das nötige Brennholz wird aus den umliegenden zerbombten Häusern geholt. Um die Ausgabe der Getränke und der Essensrationen zu erleichtern werden wieder Gruppen gebildet. Es befinden sich mittlerweile ja doch annähernd 60 Personen in den Kellerräumen.

Ein Raum der Kellergewölbe im Haus Tiefer Graben 4

Im Gespräch mit Feuerwehrleuten erfährt man, dass nur mehr zwei funktionsfähige Feuerwehrautos übrig geblieben sind, die anderen mussten am Vortag über Befehl in Richtung Mauthausen in Marsch gesetzt werden. Es bleiben 18 Mann, die beiden Fahrzeuge sowie ein Paar Handwagen mit Schläuchen und Armaturen zum Löschen der auftretenden Brände zurück. Am Nachmittag beginnen Soldaten am Tiefen Graben Barrikaden zu bauen und niemand darf sich auf der Strasse zeigen. Für das Mittagessen wird von allen eine kleine „Spende“ verlangt. Man gibt Nudeln, Erbsen und Suppenwürfel her und dafür gibt es eine warme Suppe. Die Nacht ist unruhig, da Soldaten vom Volksgarten kommend, in Richtung Kai durch die Keller ziehen.. Die Feuerwehrleute werden von deutschen Offizieren aufgefordert mitzugehen, sie können sich aber diesen Befehlen entziehen und in Zivilkleidern unter die Belegschaft der Musiker mischen. Am Nachmittag, es muss gegen 14.00 Uhr sein, fallen ganz in der Nähe Bomben .Das in unmittelbarer Nähe befindliche Haus 10 am Platz Am Hof der Berufsfeuerwehr wird durch eine Bombe getroffen. Die auf dem Giebel befindliche Figurengruppe wird dabei zerstört.

Feuerwehrzentrale im Jahre 1946

Die Abendverpflegung besteht aus mitgebrachten Vorräten. Mit einer dicken Kerze wird Wasser in einer leeren Konservendose heiß gemacht und so gibt es auch Tee zu trinken. Der nächste Tag in den Kellerräumen bringt das Problem der Entsorgung der „Notklosetts“. Sie sind am Überlaufen und so wird zur „Häusltour“ befohlen. Von der Feuerwehr werden Overalls und Gummihandschuhe beigestellt und man muss sechs Mal hinauf zum „Tiefen Graben“ gehen um die wohlriechenden Schätze in Bombentrichtern abzuladen. Danach gibt es Erbsen mit Erdäpfeln als Sonderration. Einige Zeit später kommen Feuerwehrmänner und berichten, man hätte einen notgeschlachteten Ochsen organisiert, der aber noch zerlegt werden müsste. Der Burgschauspieler Wolters erledigt diese Arbeit so elegant, dass alle meinen in ihm schlummere ein Fleischermeister. Die nächste Zeit verbringen einige Musiker im Tagraum der Feuerwehr und sind froh für kurze Zeit dem Keller zu entkommen. Doch neuerliche nahe Bombenabwürfe zwingen sie wieder dorthin zurück. Am nächsten Morgen, es ist Dienstag, wird die Nachricht durchgegeben, dass der erste Bezirk bereits unter Kontrolle der Russen sei. Es ist ein schöner Frühlingstag mit Sonnenschein und einige beherzte Männer gehen vor die Feuerwache. Professor Sedlak, der Konzertmeister welcher russisch spricht erfährt von einem russischen Offizier etwas über die Lage. Er mahnt zur Geduld da man ja noch mitten im Kampfgebiet wäre und erzählt auch einiges über die Verhältnisse in Russland. Sie hätten nur die Aufgabe die Deutsche Armee zu vernichten. Danach sollten sie aber trachten so rasch als möglich die österreichischen Betriebe und die kulturellen Einrichtungen wieder in Gang zu bringen. Etwas später malt der Professor mit einem Tintenblei auf selbst gefertigte rot–weiß–rote Armbinden das russische Wort „Poscharnik“ für Feuerwehrmann. Damit sollen die paar Feuerwehrmänner, welche in unterschiedlichster Kleidung noch versuchen ihren Dienst zu tun, als solche zu Erkennen sein. Wieder in den Keller zurückgekehrt hört man russische Panzer vorbeirollen. Der Kampflärm entfernt sich in Richtung Donaukanal. Das Mittagessen im Keller besteht aus einem Eintopf der allen gut schmeckt, zum Abendessen gibt es Gemüse welches die Feuerwehrmänner beisteuern. Der Keller muss kurzfristig zwei weitere Familien aufnehmen, welche vom Judenplatz kommend vor den Russen geflüchtet sind. Doch auch durch die Unterkunft der Philharmoniker ziehen in dieser Nacht russische Truppenteile, wodurch sich gefährliche Situationen ergeben. Während des Frühstücks am nächsten Morgen, beim üblichen „Schwarzen“ ist lebhafter Gefechtslärm zu hören. Die Kämpfe in der Umgebung des Donaukanals scheinen zuzunehmen. Der Besuch von russischen Soldaten mit der Suche nach Uhren und Tabatieren bleibt auch am Vormittag nicht aus. Einige Kellerbewohner werden dabei von diesen Gegenständen „befreit“. Mehrere komische Tauschgeschäfte werden vorgeschlagen so etwa: Tasche gegen Uhr. Auf diesen Handel wird nicht eingegangen. Von zwei russischen Offizieren erfährt man, dass heftige Kämpfe um das Gestapogebäude am Morzinplatz stattfinden. Gleichzeitig soll bereits eine provisorische österreichische Regierung gebildet werden, die ihren vorläufigen Sitz im Auersbergpalais finden soll. Gegen 18.00 Uhr hört man die Nachricht vom Brand des Burgtheaters, das die erste sichere Unterkunft der Künstler hätte werden sollen. Die Zentralfeuerwache rückt aus. Im Protokollbuch 1945/1 finden sich folgende Eintragungen:11.4.1945 - Lfd. Nr. 8832 - 17.45 Uhr „C“ Nachlöscharbeiten im Burgtheater LWG (Löschwagen) und Tdp (Tenderpumpe) 10 ausgerückt. 19.25 Uhr - „ C“ LWG und Tdp. 10, eingerückt. Zuschauer und Bühnenhaus in vollen Flammen, Löschaktion wegen Wassermangels und zu geringen Kräften aussichtslos. Aus den Garderobegängen wurden im Auftrag eins russischen Offiziers 40 Panzerfäuste und etwa 40 Kisten Handgranaten auf einen freien Platz vor das Burgtheater gebracht und die Instrumente der Philharmoniker die dort eingelagert waren, geborgen. Racek Mstr. Die Instrumente welche damals weggebracht wurden, stellte sich jetzt durch den Zeitzeugen, den Konzertmeister der Wiener Staatsoper und der Philharmoniker Herrn Walter Barylli heraus, gehörten dem Burgtheater. Diese Tatsache war und ist auch heute nebensächlich jedoch für die geschichtliche Aufarbeitung von Interesse. Der Abend dieses Tages bringt für die Männer im Keller eine gefährliche Situation. Alle Männer außer den arbeitsunfähigen werden von einem russischen Offizier aufgefordert ihm sofort zu folgen. Es geht über Tiefen Graben, Hohe Brücke und die Wipplingerstrasse zur Wiener Börse. Dort will man sie zu Schanzarbeiten im Bereich der Kämpfe um die Augartenbrücke heranziehen. Während der Wartezeit im Keller der Börse wird der Befehl storniert und sie können gerade rechtzeitig zur Feuerwehr zurückkehren um mit einigen Russen zu verhandeln, die Gefallen an den Frauen der Musiker finden und sie mitnehmen wollen. Wieder helfen die russisch Kenntnisse von Prof. Sedlak. Zum späten Nachtmahl gibt es Suppe und Erdäpfeln, die wie immer mit der Schale gegessen werden. In den nächsten Tagen, welche die Künstler noch im Labyrinth der Keller verbringen, geschehen einige Vorfälle, unter anderem werden die Vorratsräume der Feuerwehr, welche nicht viel enthalten, von Russen ausgeräumt. Weiters versuchen immer mehr „Kellerbewohner“ nach ihren Wohnungen zu schauen und ihre Verwandten und Angehörigen in anderen Teilen Wiens zu erreichen Am 13. April enden die Aufzeichnungen vom Aufenthalt in den Kellerräumen des Feuerwehrhauses. Schließlich bleiben nur mehr einige Personen zurück und die „Küche“ wird geschlossen. Das Gepäck wird herauf geschafft und in Gemeinschaftsarbeit in den Musikvereinssaal gebracht. Es sind zwar russische Truppen im Haus, die ehrwürdigen Säle stark mitgenommen, aber im großen und ganzen ist die musikalische Heimstätte erhalten geblieben. Bereits am 19.April 1945 probten die Wiener Philharmoniker mit dem Intendanten Clemens Krauss wieder eine Tschaykowski Symphonie. Alle waren froh die schwierigen letzten Tage des Krieges in den Kellern der Wiener Berufsfeuerwehr unverletzt überlebt zu haben. Heinrich Krenn Kustos des Wiener Feuerwehrmuseums Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Walter Barylly, der mir durch persönliche Gespräche und der Einsicht in seine Tagebuchaufzeichnungen diesen Bericht ermöglicht hat. Quellen: Tagebuchaufzeichnungen Prof. Barylli Protokollbuch der Feuerwehrzentrale 1945/ 1 Die österreichische Feuerwehr S. 109 Josef Holaubek Foto: Lichtbildstelle der Berufsfeuerwehr Wien, BM Luksch
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